Eine leise, ruhige und sehr naturverbundene Geschichte, die von unerhörten Dingen erzählt, die unter die Haut gehen und dennoch im Verborgenen bleiben. Eine beachtenswertes Debüt mit einer besonderen Erzählstimme, die von der gelungen Übersetzung lebt.
Urd ist ein Mädchen aus einer kinderreichen Familie, die tief im Wald lebt. Was ein wenig nach Bullerbüromantik klingt ist eine Welt voller Einsamkeit mit aufblitzenden Grausamkeiten. Sie ist die drittjüngste lebende Tochter mit fünf älteren Geschwistern eines Baumfällers, der wochenlang weg ist, weil es die Arbeitsaufträge eben so verlangen und einer labilen Mutter, die die meiste Zeit geistig abwesend oder rauchend auf dem Sofa oder in der Badewanne verbringt. Was die Frau abzuwaschen und zu verdrängen versucht und warum sie immer wieder schwanger wird, obwohl sie es hasst Mutter zu sein, wird den LeserInnen in Nebensätzen angedeutet. Der Hauptaugenmerk der Geschichte liegt auf der Protagonistin, ihrem Überlebenswillen und ihrer starken Naturverbundenheit. Sie spürt die Tiere und steht in besonderer Verbindung mit der Natur. Doch auch diese kann sie vor der Welt der Menschen nicht beschützen. Oder sollte die Welt doch eher vor Urd beschützt werden?
Ich kenne viele Bücher, bei denen eine kinderreiche Familie als einfach, harmonisch und bereichernd dargestellt wird. Auch ein Leben ohne Komfort und im Naturzustand wird oft romantisiert. In diesem Buch lesen wir eine krasse Gegendarstellung, die zeigt, dass Kinder nicht sich selbst überlassen werden können und liebevolle Zuwendung eine Grundlage für gelungene Sozialisation ist.
Das ist ein Buch, was mich mit der Geschichte, die unter die Haut geht, noch lange begleiten wird und mir immer wieder Stoff zum nachdenken liefert und mir auch den Atem verschlägt. Es ist ganz sicher kein Buch, dass nebenbei konsumiert werden kann. Es ist auch ein Buch, welches mehrere dicke, fette Triggerwarnungen braucht, auch wenn oder genau weil wenig direkt ausgesprochen und geschildert wird.